Pulque Geschichte eines mythischen Getränks. 2025
Herkunft und Entdeckung
Einleitung:
Pulque ist eines der ältesten Getränke Mexikos und spielte lange vor der Ankunft der Europäer eine bedeutende Rolle in den Kulturen Mesoamerikas. Dieses milchig-weiße, leicht alkoholische Getränk wird durch Fermentation des Agavensaftes gewonnen und galt in präkolumbianischer Zeit als Geschenk der Götter und als wertvolles Gut in Gesellschaft, Medizin und Religion. Im Folgenden wird die Geschichte des Pulque von seinen mythischen Ursprüngen über seine soziale und rituelle Bedeutung bis zu Veränderungen in der Kolonialzeit und der heutigen Zeit beleuchtet. (pulque geschichte)
Bereits in der Antike entdeckten die mesoamerikanischen Völker den berauschenden Saft der Agave. Die genaue Entstehungszeit von Pulque liegt im Dunkeln; jedoch deuten Felszeichnungen um das 3. Jahrhundert n. Chr. auf frühe rituelle Trinkgelage mit einem Agavengetränk hin. Einige Archäologen vermuten, dass schon das Volk der Otomí um etwa 2000 v. Chr. den vergorenen Agavensaft kannte. Sicher ist, dass die Agave-Pflanze in der Region zentral für Nahrung, Fasern und eben auch Getränke war – Pulque entwickelte sich in diesem Kontext als erstes alkoholisches Getränk Mesoamerikas.
Um die Entdeckung des Pulque ranken sich verschiedene Mythen. Einer alten Überlieferung zufolge fand ein toltekischer Adliger namens Papantzin heraus, wie man aus dem süßen Agavensaft (Nahuatl: aguamiel) durch Gärung Pulque herstellen kann.
Eine populärere Legende erzählt von der jungen Frau Xóchitl, die zufällig entdeckte, dass der in einer Agave gesammelte Saft zu gären begann. Sie soll den neuen Trank dem König Tecpancaltzin von Tula gebracht haben, der so begeistert war, dass er Xóchitl zur Frau nahm. Neben solchen Gründungslegenden sahen die mesoamerikanischen Kulturen Pulque als göttliche Gabe an: In der aztekischen Mythologie ist es die Agavengöttin Mayahuel, die den Menschen den Pulque schenkte. Auch der sagenhafte Gottkönig Quetzalcoatl geriet der Legende nach durch Pulque in Trance – ein Hinweis darauf, welch mächtige (und potenziell gefährliche) Wirkung man dem Getränk zuschrieb (Avoiding the Aztec Taboo of the Fifth Pulque) (Avoiding the Aztec Taboo of the Fifth Pulque). (pulque geschichte)

Pulque in der Gesellschaft
Pulque war in präkolumbianischer Zeit kein Alltagsgetränk für jedermann, sondern ein besonderes Genussmittel mit sozialer und religiöser Bedeutung. Azteken, Tolteken und andere Völker Mittelamerikas nutzten Pulque vor allem bei zeremoniellen Anlässen.
Sein Konsum war streng reglementiert: Betrunkene mussten im Aztekenreich mit harten Strafen rechnen, denn öffentliches Rauschtrinken war tabu (Mezcal. Teil 2: Pulque – Bar-Vademecum).
In der Regel war es nur Priestern, Adeligen und angesehenen Kriegern gestattet, sich an Pulque zu berauschen – und dies meist im Rahmen von Ritualen. Für das einfache Volk war Pulque nur zu bestimmten festlichen Gelegenheiten zugänglich.
Ältere Menschen (über ~52 Jahre) durften in Maßen trinken, ebenso Schwangere und Wöchnerinnen, da man glaubte, Pulque habe kräftigende und heilsame Eigenschaften (Mezcal. Teil 2: Pulque – Bar-Vademecum). Diese Ausnahmen zeigen, dass Pulque neben der rituellen auch eine gesundheitliche Funktion in der Gesellschaft erfüllte (Mezcal. Teil 2: Pulque – Bar-Vademecum).
Pulque wurde oft bei Feiern und religiösen Festen ausgeschenkt. So floss es beispielsweise bei Siegesfeiern zu Ehren erfolgreicher Krieger oder bei Erntezeremonien.
Bei großen Tempelritualen tranken Priester Pulque als Opfergabe an die Götter – manchmal bekamen auch die für ein Menschenopfer bestimmten Personen Pulque zu trinken, um sie in einen tranceartigen Zustand zu versetzen.
Das Getränk war so bedeutsam, dass es sogar als Tributleistung im Aztekenreich gefordert wurde. Der Gebrauch von Pulque war jedoch immer an soziale Regeln gebunden: Übermäßiger Konsum außerhalb heiliger Anlässe war gesellschaftlich geächtet.
Überlieferungen berichten, dass Azteken, die sich unerlaubt betranken, mit Prügelstrafen oder sogar dem Tod bestraft wurden (Mezcal. Teil 2: Pulque – Bar-Vademecum). Diese strikte Kontrolle unterstrich die besondere Stellung des Pulque – es war ein Getränk für Ausnahmezustände, nicht für den Alltag.
Pulque als Heilmittel
Neben der rituellen Bedeutung schätzte man Pulque auch wegen seiner medizinischen Wirkung. Der vergorene Agavensaft ist reich an Nährstoffen und enthält natürliche Milchsäurebakterien, die bei der Gärung entstehen.
In der traditionellen Verwendung galt Pulque daher als kräftigend: Kranke und geschwächte Personen bekamen ihn zu trinken, um zu Kräften zu kommen (Mezcal. Teil 2: Pulque – Bar-Vademecum).
Aufgrund seines milden Alkoholgehalts und der enthaltenen Vitamine und Proteine wurde Pulque von den Ureinwohnern sogar als eine Art flüssige “Nahrung” betrachtet. Stillende Mütter tranken ihn, um die Milchproduktion anzuregen, und ältere Leute nutzten ihn als Stärkungsmittel.
Man schrieb Pulque auch konkrete Heileffekte zu. So hieß es, der Trunk fördere die Verdauung und reinige den Darm, was mancherorts noch heute erwähnt wird.
Tatsächlich ähnelt Pulque in gewisser Weise probiotischen Lebensmitteln und konnte vermutlich bei Magenbeschwerden lindernd wirken. Auch die Agave selbst, aus der Pulque gewonnen wird, diente medizinischen Zwecken: Aztekische Heilkundige bereiteten aus Agavenblättern Heilmittel zu.
Ein solcher Agavenextrakt wurde etwa gegen Krankheiten der Harnwege eingesetzt. Pulque war somit eingebettet in ein ganzes Spektrum von Naturheilmitteln der präkolumbianischen Medizin.
Spanische Chronisten berichteten später sogar, dass Pulque bei Mangelkrankheiten helfen konnte – so soll er im 16. Jahrhundert zur Behandlung von Skorbut (Vitamin-C-Mangel) genutzt worden sein. Insgesamt war Pulque wegen seiner vielfältigen Wirkung geschätzt: als Durstlöscher, Nahrungsergänzung und Arznei in einem.
Pulque als Kulturgut
In den Religionen und Mythen Mesoamerikas nahm Pulque einen herausragenden Platz ein. Bei wichtigen religiösen Zeremonien wurde Pulque den Göttern geweiht und gemeinsam getrunken, um in Kontakt mit dem Übernatürlichen zu treten. Zahlreiche Gottheiten waren mit dem Pulque verbunden. Die bereits erwähnte Göttin Mayahuel verkörpert die Agave und den Pulque zugleich.
Ihr Gefährte Patecatl wurde von den Azteken als Herr des Pulque und als Medizin-Gott verehrt. Besonders bekannt sind die Centzon Totochtin, die “Vierhundert Hasen”: Diese 400 Geschwister – Kinder von Mayahuel und Patecatl – personifizieren die unzähligen Arten der Trunkenheit. Jeder Rauschzustand galt als das Werk eines anderen Pulque-Geistes.
Einer der Pulque-Götter war Ometochtli (Nahuatl für “Zwei-Kaninchen”), dem zu Ehren Feste veranstaltet wurden und der als oberster der Rauschgötter verehrt wurde. Durch diese Götterwelt wurde Pulque als heiliger Trank gesehen, den die Götter den Menschen spendeten und der im rituellen Kontext die Grenze zwischen diesseitiger und spiritueller Welt überbrücken konnte.
Pulque hinterließ auch in der materiellen Kultur und Kunst deutliche Spuren. Archäologen haben Trinkgefäße aus präkolumbischer Zeit gefunden, die speziell für Pulque genutzt wurden. Auffällig sind dabei Kelche in Affengestalt, wie der abgebildete Onyx-Becher: Der Affe galt als Symbol des ausgelassenen Betrunkenen, weshalb solche Gefäße vermutlich bei Pulque-Ritualen zum Einsatz kamen.
In der Pyramidenstadt Cholula wurde in den 1960er-Jahren ein Wandgemälde entdeckt – das sogenannte Mural de los Bebedores (“Wand der Trinker”) –, das eine große Runde von Menschen beim Pulque-Trinken zeigt. Solche Darstellungen belegen, wie fest verankert Pulque in Festkultur und Gemeinschaft der Menschen war.
Auch in den Codices (Bilderhandschriften) der Azteken ist Pulque verewigt: Dort sieht man häufig Gefäße mit weißem Schaum, aus denen mithilfe eines Strohhalm-ähnlichen Röhrchens getrunken wird. Götterbilder zeigen Mayahuel, wie sie aus einer Agave emporsteigt und einen Becher Pulque in der Hand hält – ein Sinnbild für den hohen kulturellen Stellenwert dieses Getränks.
Koloniale und moderne Entwicklungen
Die Ankunft der Spanier im 16. Jahrhundert veränderte die Pulque-Tradition erheblich. Zwar tranken auch viele Indigene unter kolonialer Herrschaft weiterhin Pulque, doch die spanischen Autoritäten betrachteten das Getränk mit Skepsis.
Es galt ihnen als heidnisch und “unzivilisiert”, da es eng mit den alten Ritualen verbunden war. Ein vollständiges Verbot sprachen die Eroberer zwar nicht aus, aber sie förderten andere Getränke – insbesondere europäisches Bier und Branntwein – und versuchten, Pulque in Verruf zu bringen.
Im 19. Jahrhundert, als deutsche Brauer begannen, Bier in Mexiko populär zu machen, starteten sogar gezielte Diffamierungskampagnen gegen Pulque. Es wurde das Gerücht verbreitet, bei der Pulque-Herstellung würden unsaubere Zutaten wie Exkremente verwendet, um das Getränk gären zu lassen.
Obwohl dies frei erfunden war, führte es doch dazu, dass viele Menschen Pulque mit Misstrauen begegneten und verstärkt zu Bier griffen. Trotzdem blieb Pulque vor allem auf dem Land bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein verbreitet – während des mexikanischen Unabhängigkeitskrieges Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es sogar als symbolisches Nationalgetränk betrachtet.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts geriet Pulque dann immer stärker ins Abseits. Nach der Mexikanischen Revolution (1910–1920) zerschlugen Reformen die großen Pulque-Haciendas, und die Regierung propagierte eine nüchterne, “moderne” Gesellschaft. Pulque-Konsum wurde mit Rückständigkeit und Lasterhaftigkeit gleichgesetzt, sodass viele städtische Mexikaner sich davon abwandten.
Zugleich machten die schlechte Haltbarkeit und der schwierige Transport des Pulque es schwer, mit industriell gefertigtem Bier zu konkurrieren. In den 1930er- und 1940er-Jahren schlossen Hunderte von Pulquerías (Pulque-Kneipen), und das einst allgegenwärtige Getränk wurde mehr und mehr zur regionalen Spezialität.
Doch komplett verschwunden ist Pulque nie: In ländlichen Gebieten Zentralmexikos – insbesondere im Bundesstaat Hidalgo – produzieren Bauern bis heute Agavensaft und füllen jeden Morgen frischen Pulque ab. In den letzten Jahren erlebt das “Getränk der Götter” sogar eine kleine Renaissance.
Vor allem junge Leute in Mexiko-Stadt und anderen Städten besinnen sich auf die eigenen kulturellen Wurzeln und probieren wieder Pulque.
Neue Pulquerías mit modernen Variationen (etwa Pulque mit Fruchtzusatz) haben eröffnet, und man schätzt das Getränk inzwischen auch wegen seiner probiotischen Eigenschaften als natürliches Gesundheitselixier.
Zwar bleibt Pulque ein Nischenprodukt, doch seine anhaltende Präsenz zeugt von der lebendigen Tradition und der kulturellen Bedeutung, die dieses uralte Getränk in Mexiko bis heute besitzt.
Quellen: Pulque – Wikipedia; Bar-Vademecum (Mezcal. Teil 2: Pulque – Bar-Vademecum) (Mezcal. Teil 2: Pulque – Bar-Vademecum); Mexico News Daily; ThoughtCo; DrinkingFolk (Avoiding the Aztec Taboo of the Fifth Pulque); Spektrum der Wissenschaft; Rutopia Travel Blog; SciPod (Valadez-Blanco et al.); Mexicolore; Mexiconewsdaily.