Die Geschichte der Mezcal Produktion in Oaxaca (präkolumbianische Zeit bis 1980)
Die Geschichte der Mezcal Produktion in Oaxaca (präkolumbianische Zeit bis 1980)
In der vorkolonialen Epoche nutzten die indigenen Völker Oaxacas – insbesondere die Zapoteken und Mixteken – die Agave (Maguey) bereits vielfältig. Aus dem süßen Pflanzensaft wurde das Pulque gebraut, ein milder gegorener Trunk, der rituell und genussvoll konsumiert wurde. Der Begriff Mezcal selbst stammt aus dem Nahuatl-Wort mexcalli für „gekochte Agave“. Eine legendenhafte Überlieferung erzählt, dass ein Blitz in ein Agavenfeld einschlug und die Pflanzen röstete – so habe die Göttin Mayahuel den Menschen den ersten Mezcal geschenkt. Diese mythische mündliche Überlieferung verweist auf die uralte kulturelle Bedeutung der Agave, auch wenn sie Mezcal hier im ursprünglichen Sinne (geröstete Agave) meint, nicht als Destillat.
Archäologische Funde deuten darauf hin, dass bereits lange vor Ankunft der Spanier Agaven gekocht und möglicherweise zu Spirituosen verarbeitet wurden. So wurden im heutigen Zentralmexiko (Xochitécatl-Cacaxtla, Tlaxcala) unterirdische Erdöfen entdeckt, die zwischen 600 und 400 v. Chr. zum Rösten von Agaven benutzt wurden. Einige Forscher interpretieren dies als Hinweis auf eine frühe Destillation von Agaven – einen prähispanischen Mezcal –, doch ist diese These umstritten. Gesichert ist, dass die präkolumbianischen Kulturen keinen gebräuchlichen Destillationsapparat besaßen. In keiner überlieferten Quelle der Azteken (etwa im Codex Florentinus oder Codex Mendoza) findet sich ein Hinweis auf Destillation – es ist nur von ungebrannten Agavengetränken wie Pulque die Rede. Damit liegt die Entwicklung echter Mezcal-Herstellung – also durch Destillation von vergorenem Agavensaft – aller Wahrscheinlichkeit nach erst in der Kolonialzeit.

Kolonialzeit (1521–1821)
Mezcal-Brennerei um 1905 mit traditionellen Brennöfen und Kupferbrennblase. Solche Anlagen im kleineren Maßstab gab es seit der Kolonialzeit; indigene Mezcalilleros (Agavenbrenner) und ihre Familien arbeiteten hier unter einfachen Bedingungen.
Mit der Eroberung Mexikos brachten die Spanier im 16. Jahrhundert die Technik der Destillation nach Mesoamerika. Wahrscheinlich gelangten einfache Brennapparate – sogenannte Filipino-Stills (philippinische Destillen) – durch Seefahrer aus Asien via Manila-Galeonen nach Neuspanien. Zunächst destillierte man damit Fermente aus Kokos und Palmensaft, doch bald entdeckten die Einheimischen an der pazifischen Küste Mexikos, dass sich damit auch Agavenmaische brennen ließ. So verschmolzen indigene Gärungs-Traditionen (Pulque-Herstellung) mit dem neuen Destillations-Know-how aus Europa und Asien – die Geburtsstunde des Mezcal als Agavenbrand.
Die frühesten schriftlichen Erwähnungen des Mezcal stammen aus dem frühen 17. Jahrhundert. 1621 beschrieb der spanische Geistliche Domingo Lázaro de Arregui in seiner Descripción de la Nueva Galicia ausführlich ein von den Ureinwohnern hergestelltes Agavendestillat. Er berichtet, man röste die Agavenherzen, presse den Saft heraus, vergäre ihn und destilliere daraus ein Getränk, „klarer als Wasser und stärker als Branntwein“. Dies gilt als erste verlässliche schriftliche Beschreibung von Mezcal. Frühere Hinweise (wie ein anonymer Bericht von 1606) sind unsicherer Natur. Fest steht, dass Mezcal in der Kolonialzeit zunächst vor allem in Westmexiko (Colima, Jalisco) aufkam, wo die Technik eingeführt worden war. Von dort aus verbreitete sich die Mezcal-Brennerei allmählich in andere Regionen Neuspaniens.
In Oaxaca selbst gibt es belegte Hinweise auf Mezcal-Produktion erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Im Jahr 1770 schlugen koloniale Beamte vor, ein staatliches Monopol (estanco) für die Mezcalherstellung in Oaxaca einzurichten – ein Zeichen dafür, dass die Menge und Bedeutung dort bereits nennenswert waren. 1785 erließ die spanische Krone ein Dekret zur Unterdrückung illegaler Branntweine, in dem vino mezcal (Mezcalwein) explizit als verbreitetes Getränk erwähnt wird. Genannt wurden mehrere Gegenden der heutigen Region Oaxaca – z.B. die Mixteca (Huajuapan), Teile des Isthmus von Tehuantepec, die Sierra Norte (Villa Alta) und die Valles Centrales um Oaxaca-Stadt. Diese Nennung belegt, dass Mezcal noch vor Ende der Kolonialzeit in vielen Teilen Oaxacas hergestellt wurde. Offiziell waren die einheimischen Destillate jedoch meist verboten oder wurden nur geduldet, da die Kolonialherren die Produktion spanischen Weins und Branntweins schützen wollten. Immer wieder kam es zu Verboten und zur Zerstörung von Agaven, um die Indigenen vom Brennen abzuhalten. Dennoch blieb die Kunst der Mezcal-Herstellung im Verborgenen erhalten, oft in abgelegenen Dörfern und Familienbetrieben.
Die Herstellungstechnik in jener Epoche war einfach und basierte auf lokalen Materialien. Man grub Erdgruben, füllte sie mit heißen Steinen und röstete darin die Agavenherzen (piñas) – ähnlich der heutigen Methode in Oaxacas palenques (Freiland-Brennereien). Die gekochten Agaven wurden zerkleinert und in Holzfässern oder sogar Tierhäuten zum Gären gebracht. Zum Destillieren dienten provisorische Apparate: oftmals Tontöpfe oder ausgehöhlte Baumstämme mit aufgelegten Kesseln, darüber ein mit kaltem Wasser gefülltes Becken zum Kondensieren des Alkoholdampfs. Diese Filipino-Alambiques aus Holz, Ton und Metallteilen waren billig und leicht herzustellen, wenn auch wenig effizient. Solche Techniken, kombiniert mit dem reichlich vorhandenen Maguey, legten den Grundstein für die Tradition des Mezcalbrennens in Oaxaca.
19. Jahrhundert (1821–1900)
Nach der Unabhängigkeit Mexikos (1821) entfielen die strengen kolonialen Verbote, und die Mezcal-Produktion konnte freier florieren. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Mezcal – einschließlich regionaler Varianten wie dem Tequila in Jalisco – zu einem wichtigen Wirtschaftszweig. Um die Mitte des 19. Jh. war die Herstellung von vino mezcal (Agavenbranntwein) bereits die drittwichtigste Einnahmequelle für den mexikanischen Fiskus, nach dem Bergbau und der Mehlindustrie. Dieses bemerkenswerte Faktum zeigt, dass Mezcal längst über den lokalen Eigenbedarf hinaus in großem Stil produziert und gehandelt wurde. In Oaxaca gehörte Mezcal in der Mitte des 19. Jh. zu den etablierten Produkten: So erließ Präsident Santa Anna 1854 ein Dekret, das alle Fabrikanten und Händler von vino del mezcal in Oaxaca zu einer Steuerabgabe verpflichtete. Gleichzeitig berichten Archivdokumente aus den 1850er Jahren von Mezcal-Fabriken in der Region Ejutla und von Beschäftigten, die man mezcalilleros nannte. Dies belegt, dass es neben den dörflichen Kleinbrennereien auch organisierte, größere Herstellungsstätten gab.
Technisch blieb die Produktion dennoch überwiegend handwerklich geprägt. Viele mezcaleros setzten weiterhin auf traditionelle Methoden: die Agaven wurden mit der Coa (einer speziellen Hacke) geerntet, im Erdofen gebacken und mit Mühlsteinen, angetrieben von Maultieren oder von Hand, zermahlen. Die Vergärung erfolgte in Holzfässern, und destilliert wurde teils noch in einfachen Lehmbrennblasen, teils schon in kupfernen Brennblasen, wo verfügbar. Die wichtigsten Innovationen des 19. Jh. waren die allmähliche Verbreitung von metallenen Brennapparaten (Kupfer-Alambiques) und effizienteren Mühlen – doch anders als bei Tequila (wo bereits Fabriken und Dampföfen entstanden) blieb Mezcal in Oaxaca weitgehend ein kleinbäuerlich-artesanal gefertigtes Produkt.
Die gesellschaftlichen Umbrüche des späten 19. Jahrhunderts beeinflussten die Mezcal-Produktion ebenfalls. Unter dem Regime Porfirio Díaz (1876–1911) wurde zwar die Wirtschaft modernisiert, aber kleine Mezcal-Erzeuger litten oft unter hohen Steuern und Konkurrenz durch größere Destillerien. In dieser Zeit wurden auch brutale Maßnahmen gegen aufständische indigene Völker umgesetzt, was indirekt Spuren in Oaxaca hinterließ. So haben die Yaqui, ein indigenes Volk aus Sonora (Nordwestmexiko), keine traditionelle Rolle in der Mezcal-Kultur Oaxacas – doch während der Yaqui-Kriege Ende des 19. Jh. wurden viele Yaqui gefangengenommen und als Zwangsarbeiter in ferne Regionen deportiert. Ab 1899 gelangten Gruppen von Yaqui ins nördliche Oaxaca (Region Valle Nacional), um dort auf Tabak- und Zuckerrohrhaciendas unter unmenschlichen Bedingungen zu arbeiten. Diese tragische Episode stand jedoch in keinem Zusammenhang mit der Mezcal-Herstellung. Die Yaqui wurden in Plantagenwirtschaft und Bergbau ausgebeutet, während die Mezcal-Produktion in Oaxaca weiterhin fest in den Händen der lokalen Völker (Zapotec, Mixtec u.a.) lag. Historisch gesehen haben die Yaqui somit keinen nachweisbaren Einfluss auf die Mezcal-Tradition in Oaxaca.
20. Jahrhundert (1900–1980)
Die Revolution von 1910 und die folgenden turbulenten Jahre wirkten sich drastisch auf die Mezcal-Produktion aus. Zwischen 1915 und 1919 verhängte die Regierung eine landesweite „Ley Seca“ (Trockenlegungsgesetz), welche Herstellung und Verkauf von Alkohol vorübergehend verbot. In dieser Zeit mussten viele Mezcalbrenner in Oaxaca in den Untergrund gehen. Sie verlegten ihre Destillen in entlegene Täler und Berge und tarnten sie mit einfachen Palisaden – daher stammt die Bezeichnung Palenque für die ländlichen Brennorte und in der Folge der Begriff palenqueros für die Mezcal-Hersteller. Trotz der Repression überlebte das Handwerk: heimlich brannten Familien weiter ihren Mezcal, der auf lokalen Märkten getauscht oder verkauft wurde.
Nach dem Ende der Prohibitionspolitik 1919 erholte sich die Branche allmählich. Allerdings erlebte zunächst vor allem der Tequila einen großen Aufschwung – dieser Agavenbrand aus Jalisco wurde in der ersten Hälfte des 20. Jh. national und international populär. Mezcal aus Oaxaca blieb demgegenüber lange ein regionales Produkt, geschätzt vor Ort, aber mit geringerer Reichweite. Ab den 1930er Jahren kam es jedoch zu einer neuen Blüte der Mezcal-Produktion in Oaxaca selbst. In den Zentraltälern (Valles Centrales) steigerten einige Gemeinden ihre Ausstoßmengen erheblich: So setzte um 1938 in Dörfern wie San Pablo Güilá, Santiago Matatlán und San Juan del Río ein Mezcal-Boom ein. Besonders Santiago Matatlán entwickelte sich in der Folge zum Zentrum und nannte sich stolz die „Welthauptstadt des Mezcal“. Diese lokale Expansion hing mit der wiedererlangten Legalität, einer steigenden Nachfrage im Inland sowie der Pflege traditioneller Verfahren zusammen.
In den 1940er und 1950er Jahren begann Mezcal auch überregional an Bekanntheit zu gewinnen. 1950 wird als Wendepunkt genannt, ab dem Mezcal im nationalen Konsum wieder an Bedeutung gewann. Findige Unternehmer führten neue Marketingideen ein – berühmt-berüchtigt etwa der Mezcal con gusano, bei dem eine in der Agave lebende Raupe (gusano) zur Schauzwecken in die Flasche gegeben wird. Solche Besonderheiten weckten das Interesse von Konsumenten außerhalb Oaxacas und unterschieden Mezcal vom „braven“ Tequila. Nichtsdestotrotz blieb die Fertigung bis 1980 überwiegend traditionell geprägt und in kleinem Maßstab. Fotos aus den 1960er Jahren zeigen mezcaleros der indigenen Völker (z.B. Mixe in Santa María Tlahuitoltepec) bei der Arbeit mit Holzfässern, Maultier-Mahlsteinen und Tonkrügen – beinahe identisch mit den Methoden ihrer Vorfahren.
Mixe-Indigene beim Mahlen gekochter Agave mit einer steinernen Tahona (Mahlrad), Oaxaca ca. 1960. Solche handwerklichen Verfahren blieben in Oaxaca bis weit ins 20. Jahrhundert üblich.
Gegen Ende unseres Betrachtungszeitraums (um 1980) war Mezcal in Oaxaca zwar tief in der lokalen Kultur verwurzelt und für festliche Anlässe unverzichtbar, jedoch außerhalb der Region noch ein Nischenprodukt. Es gab nur wenige industrielle Hersteller; die meisten Mezcal-Brennereien waren Familienbetriebe, oft ohne Elektrifizierung, die ihren Brand in kleinen Chargen herstellten. Die Herstellungstechnik hatte sich über die Jahrhunderte nur behutsam weiterentwickelt: Noch immer röstete man die Agavenherzen in Erdgruben mit Holzfeuer, zermahlte sie von Hand oder mit einfachen Mühlen, fermentierte mit natürlichen Hefen in Holzbehältern und destillierte zweimal in kupfernen oder keramischen Kleinbrennblasen. Dieses Zusammenspiel aus alter Tradition und moderater Modernisierung sicherte das Fortbestehen der Mezcal-Kunst. Erst in den späten 1980ern und 1990ern sollte Mezcal den Sprung auf den Weltmarkt schaffen – doch das liegt jenseits unseres Zeitfensters.
Quellen: Die obigen Ausführungen stützen sich auf historische Dokumente (z.B. Arreguis Bericht von 1621; spanische Kolonialerlasse von 1785 und 1854), archäologische Studien, sowie neuere wissenschaftliche Untersuchungen zur Mezcal-Geschichte. Weiterführende Informationen finden sich in den genannten Referenzen und in spezialisierten Publikationen zur Kulturgeschichte des Mezcal.